Ana María Mejía Rodríguez, Hans Luyten, & Martina Meelissen

Trotz der Bedeutung von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) interessieren sich nicht genügend Studenten für eine Karriere im MINT-Bereich. Darüber hinaus ist der Anteil an Frauen unter den wenigen Studierenden, die Interesse zeigen – und tatsächlich eine MINT-Karriere einschlagen – gering. Beispielsweise gehören in den OECD-Ländern nur 23% der Hochschulabsolventen dem Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften an, und nur 31% dieser Studierenden sind Frauen. Diese Unterrepräsentanz zeigt sich auch im akademischen Bereich, wo nur 22% der wissenschaftlichen Autoren Frauen sind.

Spearman und Watt (2013) schlugen drei Erklärungen für die Geschlechtsunterschiede im MINT-Bereich vor: (1) Unterschiede in den Fähigkeiten von Jungen und Mädchen, (2) Unterschiede in der Motivation und Einstellung gegenüber MINT und (3) Unterschiede in der Sozialisation. In Bezug auf die Fähigkeiten zeigen die Ergebnisse mehrerer Zyklen von TIMSS und PISA, dass es in den meisten Ländern keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Mathematikleistungen gibt, und falls sie bestehen (in der Regel zugunsten der Jungen), haben sie sich im Laufe der Jahre verringert. Studien haben gezeigt, dass der Wunsch nach einer MINT-Karriere enger mit der zweiten Erklärung verbunden zu sein scheint, insbesondere mit Einstellungen wie dem mathematischen Selbstkonzept (wie zuversichtlich sich die Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer eigenen mathematischen Fähigkeiten fühlen). Diese Einstellungen werden durch das Umfeld von Mädchen und Jungen geprägt, was mit der Erklärung der Sozialisation zusammenhängt. Beispielsweise könnten Mädchen und Jungen von Geschlechterstereotypen beeinflusst werden, die Mathematik und mathematikintensive Bereiche als typisch männliche Domänen identifizieren. Diese Geschlechterstereotypen können sowohl von relevanten Erwachsenen – wie Eltern und Lehrern – als auch von den Medien vermittelt werden.

Obwohl geschlechtsspezifische Unterschiede in der Mathematikleistung klein oder nicht signifikant sind, hat die Forschung gezeigt, dass Jungen erhebliche Vorteile im mathematischen Selbstkonzept haben. Diese Forschung wurde hauptsächlich in westlichen Ländern und mit Sekundarschülern durchgeführt. Das Ziel unserer Studie war es, die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei jüngeren Schülern sowie in einer breiteren Gruppe von Ländern zu untersuchen und die Rolle der Sozialisation bei der Gestaltung des Selbstkonzeptes der Schüler zu analysieren.

Auswertung der geschlechtsspezifischen Unterschiede

Anhand von Daten aus TIMSS 2015 untersuchten wir die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim mathematischen Selbstkonzept von Viertklässlern in 32 Ländern[1] unter Berücksichtigung von Schülerleistung und Sozialisationsvariablen. Für letztere verwendeten wir die Einstellungen und Charakteristika der Eltern (z.B. in Bezug auf Mathematik und Naturwissenschaften; die Häufigkeit, mit der sie frühe Rechenaktivitäten mit ihren Kindern durchführten) als Proxy für die Sozialisation zuhause.  

Unsere Ergebnisse

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im mathematischen Selbstkonzept bereits bei Viertklässlern bestehen und sich daher vor dem zehnten Lebensjahr entwickeln. Obwohl der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Selbstkonzept von Land zu Land unterschiedlich ist, haben Mädchen in den meisten Ländern ein geringeres Selbstkonzept als Jungen (siehe Abbildung 1). Ein weiterer Blick zeigt, dass Mädchen dazu neigen ihre mathematischen Fähigkeiten als schlechter wahrzunehmen als Jungs und das nicht nur in Ländern, in denen Mädchen (im Durchschnitt) schlechtere Leistungen als Jungen erbringen, sondern auch in Ländern, in denen Mädchen gleich gut oder sogar besser als Jungen abschneiden.

Abbildung 1. Einfluss des Geschlechts auf das mathematische Selbstkonzept, nach Ländern.

Anmerkung. Signifikante Effektgrößen (α< .05; zweiseitig) sind in blau gedruckt; positive Effektgrößen zeigen Vorteile für Mädchen und negative Effektgrößen Vorteile für Jungen an.

Warum sollte uns das niedrigere mathematische Selbstkonzept der Mädchen kümmern?

Vorherige Forschung zeigt, dass das Vertrauen in mathematische Fähigkeiten ein wichtiger Prädiktor dafür ist, ob sich Mädchen für weiterführende Mathematikkurse entscheiden, und in einigen Fällen können diese Entscheidungen den Zugang zu MINT-Studienfächern an der Universität verwehren. Obwohl Viertklässler weit davon entfernt sind, eine solche Wahl zu treffen, könnte es (zu) schwierig sein, ihre Teilnahme an MINT-Fächern in der Zukunft zu anzuregen, wenn Mädchen zu diesem Zeitpunkt bereits ein geringes mathematisches Selbstkonzept haben.

Der Anteil an Frauen im MINT-Bereich ist ein Grund zur Besorgnis. Wenn Frauen genauso gut für eine MINT-Karriere geeignet sind wie Männer, dies aber aufgrund eines geringen mathematischen Selbstkonzepts nicht tun, verlieren wir eine wichtige Quelle an talentierten MINT-Mitarbeiter, was sich auf Produktivität und Innovation auswirken könnte. Darüber hinaus kann Teilhabe am MINT-Bereich bessere wirtschaftliche Perspektiven für Frauen mit sich bringen, da MINT-Arbeitsplätze zu den am schnellsten wachsenden und lukrativsten Karrieren gehören.

Wir müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass Mädchen die gleichen Chancen wie Jungen haben, wenn es um MINT-Bildung geht, indem wir Geschlechterstereotypen bekämpfen und die Leistung und das Selbstvertrauen von Mädchen in Fächern wie Mathematik fördern.


[1] Bahrain, Belgien (flämisch), Bulgarien, Chinesisch-Taipeh, Kroatien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Hongkong SAR, Ungarn, Indonesien, Iran, Irland, Italien, Japan, Kasachstan, Südkorea, Litauen, Marokko, Oman, Polen, Portugal, Russland, Saudi Arabien, Serbien, Singapur, Slowakei, Türkei, und die Vereinigten Arabischen Emiraten.

Quelle des vorgestellten Comicstrips: xkcd

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